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Aufgedröselt

Die Lehre vom Gang übers Wasser

Das Zitat im Zusammenhang

Weniger die Gedichte Eckermanns als vielmehr die Niederschrift seiner Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens haben ihn weithin bekannt gemacht und hohe Anerkennung eingebracht. Aus diesen Aufzeichnungen stammt auch der nachfolgende Auszug.

Sonnabend, den 12. Februar 1831

Ich lese im Neuen Testament und gedenke eines Bildes, das Goethe mir in diesen Tagen zeigte, wo Christus auf dem Meere wandelt, und Petrus, ihm auf den Wellen entgegenkommend, in einem Augenblick anwandelnder Mutlosigkeit sogleich einzusinken anfängt.

»Es ist dies eine der schönsten Legenden,« sagte Goethe, »die ich vor allen lieb habe. Es ist darin die hohe Lehre ausgesprochen, daß der Mensch durch Glauben und frischen Mut im schwierigsten Unternehmen siegen werde, dagegen bei anwandelndem geringsten Zweifel sogleich verloren sei.«

Sonntag, den 13. Februar 1831

… Das Gespräch lenkte sich auf das Neue Testament, indem ich erzählte, daß ich die Stelle nachgelesen, wo Christus auf dem Meere wandelt und Petrus ihm entgegengeht. »Wenn man die Evangelisten lange nicht gelesen,« sagte ich, »so erstaunt man immer wieder über die sittliche Großheit der Figuren. Man findet in den hohen Anforderungen an unsere moralische Willenskraft auch eine Art von kategorischem Imperativ.«

»Besonders«, sagte Goethe, »finden Sie den kategorischen Imperativ des Glaubens, welches sodann Mahomet noch weiter getrieben hat.«

»Übrigens«, sagte ich, »sind die Evangelisten, wenn man sie näher ansieht, voller Abweichungen und Widersprüche, und die Bücher müssen wunderliche Schicksale gehabt haben, ehe sie so beisammen gebracht sind, wie wir sie nun haben.«

» Es ist ein Meer auszutrinken,« sagte Goethe, »wenn man sich in eine historische und kritische Untersuchung dieserhalb einläßt. Man tut immer besser, sich ohne weiteres an das zu halten, was wirklich da ist, und sich davon anzueignen, was man für seine sittliche Kultur und Stärkung gebrauchen kann. Übrigens ist es hübsch, sich die Lokalität deutlich zu machen, und da kann ich Ihnen nichts Besseres empfehlen, als das herrliche Buch von Röhr über Palästina. Der verstorbene Großherzog hatte über dieses Buch eine solche Freude, daß er es zweimal kaufte, indem er das erste Exemplar, nachdem er es gelesen, der Bibliothek schenkte und das andere für sich behielt, um es immer in seiner Nähe zu haben.« …


Quelle: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens 1823-1832 von Johann Peter Eckermann

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Themen

Distelichte Sudelbücher

Einleitender Text zum Konzept plus Rasterüberblick

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Themen

Der Schwer.

Eine Einführung in die Schwerpunkte: Wir haben bereits für das Jahr 2022 Themenschwerpunkte gewählt, die wir über das Jahr verteilt beleuchten. Angelegt werden diese, anders als bei einem Printmedium, bereits im Januar/Februar. So können Sie frühzeitig erkennen, was Sie erwartet. Es gibt dann bereits erste Inhalte, eine Art Inhaltsverzeichnis, das stetig erweitert wird und Hintergrundberichte zu Recherche und Ausarbeitung der jeweiligen Beiträge.

Im vorgesehenen Zeitraum wird der Schwer. „rund gemacht“ und beworben. Sollten wir feststellen, dass sich durch Ihre Beteiligungen, Anregungen und unsere Recherchen sich ein größeres, neues Feld auftut, dann greifen wir diesen Schwer. zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf.

Wir haben folgende Schwerpunkte geplant:

Glaube und Zweifel (Januar – März)
distelicht – Eine lyrische Landpartie (Januar – Dezember)
Hygienekonzept (März – April)
Die unaufhörliche Wanderung (März – Mai) – Anlass ist die Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2022 an den österreichischen Schriftsteller und unermüdlichen Aufklärer Karl-Markus Gauß für sein Buch „Die unaufhörliche Wanderung: Reportagen“.
Das menschliche Porträt (Mai – Juli)
Kreativer Widerstand (Mai – August)
Roger Willemsens Buchtitel als Ideengeber (August – September) – Das ist vorerst der Arbeitstitel
All die Frauen (August – Dezember)
Spanien (Oktober – November) – Begleitend zur Frankfurter Buchmesse
Mannstreu (November – Dezember)

Die Themenabläufe können sich geringfügig verändern. Sobald ein Schwer. eröffnet ist, sehen diesen hier verlinkt.

Haben Sie Fragen, Anregungen? Wenn Sie meinen, ein bestimmstes Buch, ein Text sollte unbedingt in einem Schwer. ausführlich erwähnt werden, lassen Sie es uns gern wissen. Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an redaktion@distelicht.de

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Lesart

Kleine Disteln

„Knappe Geschichten“, so lautet der lapidare Untertitel von KLEINE DISTELN, das in der Reihe „Text und Portrait“ im Aufbau-Verlag erschienen ist. Und es scheint so, als wären Alasdair Grays Geschichten weniger skandalträchtig als es sein Roman „Janine 1982“ gewesen war, der wegen der beschriebenen sexuellen Ausschweifungen für Wirbel gesorgt hat.

Diesmal geht es ruhiger zu, nicht jedoch langweiliger. Die Geschichten, die in diesem Band versammelt sind, lassen sich weder miteinander vergleichen noch gehören sie zusammen. Die erste ist ein Bericht, den er für den Stiftungsrat der Bellahouston-Stiftung verfasste, um über sein Reisestipendium Rechenschaft abzulegen. Es ist wunderschön zu lesen, mitzuerleben, wie Gray seine Reise angetreten hat und bereits nach einigen Kilometern von Heimweh nach seinem geliebten Glasgow geplagt wurde und sich trotzdem tapfer bis zum Zielort Gibraltar durchgeschlagen hat.

In weiteren Kurzgeschichten berichtet er von seinen kauzigen und skurrilen Landsleuten, von erschlagenen Katzen, der Sozialistischen Republik Schottland und ewigen Nörglern. Sein Meisterstück in diesem Band ist jedoch die Vollendung eines Textfragments von Robert Louis Stevenson, dem Autor der Schatzinsel, wobei er sich allerdings herausnimmt immer mehrere Handlungsmöglichkeiten durchzuspielen.
Meine persönliche Lieblingsgeschichte ist die, die den Buchtitel hergibt: Kleine Disteln.

Gray ist Schotte. Mit Leib und Seele. Seine Romane und Geschichten berichten immer von seiner Heimat oder den eigentümlichen Schicksalen, die seine Landsleute durchleben. Dabei ist er alles andere als ein Wald-und-Wiesen-Autor. Was ihn auszeichnet ist die blühende, übersprudelnde und zuweilen auch obszöne Phantasie, die in seine Bücher einfließt. Obwohl er in seiner Heimat bereits seit Jahren ein bekannter und gern gelesener Autor ist und von der Kritik gebauchpinselt wird, gelingt es ihm in Deutschland erst langsam, sich einen Namen zu machen. Die „offizielle“ hiesige Buckritik geht Gray eher aus dem Weg. Warum auch immer. Seine Bücher sind seit Jahren ins Deutsche übersetzt und werden von einem wachsenden Leserkreis gekauft. Alasdair Gray hat sich inzwischen den Status eines öffentlichen Geheimtipps erarbeitet.

Schade ist eigentlich nur, dass es diesmal keine Illustrationen von Gray zu seinen Geschichten gibt. Ein schwacher Trost ist der Fototeil am Ende des Buches, dessen Hauptmotiv der Autor selbst ist. Fotografin ist Renate von Mangoldt. Vorangestellt an die Fotos ist eine Art Selbstporträt: nüchtern und gespickt mit Details, die Grays Lauf des Lebens recht bildhaft werden lassen.


Alasdair Gray, geboren 1934 in Glasgow, studierte an der dortigen Kunsthochschule Malerei. Gray lebt und arbeitet als Graphiker, Maler, Verleger und Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Zum Schreiben kam er erst, als er bereits über vierzig Jahre alt war. Gray ist bekennender Sozialist und bekanntester Vertreter der Welle neuer schottischer Autoren, die seit einigen Jahren die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Seine Heimatstadt Glasgow bildet die Kulisse für seine ersten beiden Romane „Lanark“ und „1982, Janine“. Beides sind großangelegte, schelmenhafte Erzählungen, in denen die Kritiker die Weitschweifigkeit eines Lawrence Sterne und den Eklektizismus eines James Joyce sahen. Der Observer sprach „Lanark“ alle Zutaten eines Kultbuchs zu und die Washington Post schrieb zu „Zehnmal Lug und Trug“: „Schnappen sie sich im Buchgeschäft den Stapel dieses Buches. Lassen Sie alle in Geschenkpapier einschlagen, bis auf Ihr eigenes Exemplar – und bringen Sie die als Gastgeschenk zu Dinnerparties etc. mit – statt dieser öden Flasche Wein, die ja doch nie getrunken, sondern immer von Dinnerparty zu Dinnerparty herumgereicht wird.“

Alasdair Gray
Kleine Disteln | Knappe Geschichten

Aus der Reihe Text und Porträt
Taschenbuch – 1996
Aufbau Verlag
| Literarisches Colloquium Berlin – DAAD
ASIN: B00OAM07HK
Nur noch im antiquarisch erhältlich

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Glaube und Zweifel

Glaube und Zweifel

In diesem Schwer. soll es um die Fragen gehen: War und ist Lyrik relevant im Dialog zwischen Gläubigen, zwischen Gläubigen und Zweifelnden? Wenn ja, in welcher Form? Wie können wir bildhafte Sprache zur Vermittlung von Inhalten nutzen? Auch für die eigene Annäherung an den religiösen, spirituellen Glauben? Lässt sich mit Lyrik und Kurzprosa eine Brücke bauen für Menschen die zum Glauben keinen oder nur schwer Einstieg finden? Oder für die, die einen reflektierten Ausstieg suchen?

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Glaube und Zweifel Lesart

Kurt Marti | Zärtlichkeit & Schmerz

Dieses Buch von Kurt Marti aus dem Jahre 1979 trägt den Titel : Zärtlichkeit und Schmerz | Notizen. Die Formulierung wirkt auf eine überraschende, fast provokative Art emotional und subjektiv, was umso mehr auffällt, als der Autor sonst einen mehr sachlichen Ton bevorzugt und übrigens seit jeher als einer der profiliertesten Vertreter der sogenannten «engagierten» Literatur angesehen wird. Sein ProsaWerk, das politische Tagebuch «Zum Beispiel Bern 1972» gilt als ein Höhepunkt der politisch gerichteten Literatur der 1960er Jahre; es hat seinerzeit auch entsprechend Staub aufgewirbelt (auch wenn sich dadurch die Verhältnisse nicht geändert haben).
Politik und Subjektivität, das Allgemeine und der Einzelne, das Öffentliche und das Private sind in der schweizerischen Literatur nie getrennte Bereiche gewesen, am wenigsten in den wirklich bedeutenden und repräsentativen Werken. Das literarische Schaffen Martis ist ein Beispiel dafür.

Schon «Zum Beispiel Bern 1972» ist bewusst als Tagebuch konzipiert und nicht etwa als Pamphlet; es enthält nicht nur Polemik, sondern zugleich den Ansatz zu einer Art «Innerlichkeit der Politik» (am deutlichsten vielleicht in der Frage, ob Menschen verschiedener politischer Richtungen auch unterschiedliche Träume hätten). In «Zärtlichkeit und Schmerz» finden sich ebenfalls viele tagebuchartige Passagen und eine stark persönliche Färbung.

«Jeder Terror rechtfertigt sich mit objektiver Notwendigkeit. Um so mehr gilt es, unbeirrt subjektiv zu sein.»

Kurt Marti
Das Buch in meinem Bucherregal

Der Titel bezieht sich nicht auf das Erleben des Autors; er gehört vielmehr in den theologischen Kontext des Buches, als Teil einer Neudefinition Gottes, der in dezidierter Ablehnung der «männlichen» Vorstellung eines allmächtigen, überhaupt eines mit dem Machtbegriff zu erfassenden Gottes identifiziert wird mit «Liebe, Zärtlichkeit, Schmerz».
So ist denn dieses Werk Martis ein primär theologischer Text, anzugehen mit den entsprechenden Begriffen und Fragestellungen?
Vielleicht ist tatsächlich seit den «Gedichten am Rand» das Theologische in seinen Büchern nie so deutlich, so explizit formuliert worden, aber was hier als Theologie auftritt, ist so unorthodox und unkonventionell, dass jede nicht-theologische Interpretation ebenso richtig, vielleicht sogar passender ist. Dies auf den ersten Blick so einfache, verständliche, ja umgängliche Buch ist im Grunde ein umfassendes Werk, ein Versuch, in einer Vielzahl von kurzen Texten (Ansätze zu Erzählungen, Mini-Essays, Aphorismen, spruchartige Sätze, lyrische Prosa, Blitzlichter der Beobachtung) Vielfältiges und Gegensätzliches zusammenzubringen; ein verwirrendes und doch sinnvolles Puzzle, Spiegelung eines vielfältigen Eindrücken ausgesetzten zeitgenössischen Bewusstseins.

Allmacht | Gott kann nicht einmal abdanken, d.h. einer Machtposition entsagen, weil er eine solche nie innegehabt hat.

Ein Tagebuch ist es allerdings nicht; die Form ist trotz des beiläufig anmutenden Untertitels strenger und anspruchsvoller: die Notizen enthalten, was sich dem Tag an Erkenntnis abgewinnen lässt, die den Tag überdauert, ohne ihm doch entrückt zu sein, geformt und fragmentarisch zugleich. Ob alles an diesen Einfällen, Beobachtungen, Gedanken des Aufzeichnens wert sei – ich habe die Frage mit dem Ton des Zweifels, der leisen Kritik gehört, und es gibt gewiss unter den aphoristischen Bemerkungen ein paar mehr beiläufig formulierte Sätze, die allein das Buch nicht tragen könnten, es freilich auch nicht tragen müssen. Aber vielleicht sind in einem Buch wie «Zärtlichkeit und Schmerz» auch die beiläufigen Bemerkungen ein rascher Einfall, eine halb spielerische Formulierung, Ausdruck des Ärgers notwendig. Denn die «Notizen» sollen auf keinen Fall gelesen werden als eine Blütenlese von Sentenzen, überzeitlich und vollkommen.
Noch in keinem bisherigen Buch Martis hat der Alltag eine so wichtige Rolle gespielt wie hier, und wenn es sich auch um ein im wesentlichen theologisches Buch handelt, dann nur in dem Sinn, dass Theologie den Alltag und dessen Banalität nicht ausklammert.

«Der Tiefenpsychologie verdanken wir die Einsicht, dass die wahren Mysterien weder eleusisch noch tibetanisch, weder transzendent noch okkult, sondern alltäglich sind»: ein nicht leicht zu deutender, jedoch zentraler Satz.

Es gibt sehr wenig reine Spekulation in diesem Buch, aber sehr viel Nachdenken über grundsätzliche, sogenannte «letzte» Fragen aufgrund von Alltagserfahrungen. Unter dem Titel des vierten Kapitels «Hader mit Leibniz» steht nicht etwa ein philosophisches Streitgespräch, sondern die Erfahrung eines alten Mannes, der am Sterbebett seiner Frau (die nur noch in «arteriosklerotischer Bosheit dahindämmert») den leicht, aufklärerischen Traum von der besten aller möglichen Welten begräbt.
So wenig aber Theologie und Alltag getrennte Bereiche sind, so wenig lassen sich – um noch einmal auf die eingangs aufgeworfene Frage zu Politik und Subjektivität kommen – voneinander lösen. Ich möchte sogar behaupten, dass «Zärtlichkeit und Schmerz» über eine gehörige politische Kraft verfügt, nicht wegen der im eigentlichen Sinn politischen Sätze, sondern gerade in den scheinbar nur subjektiven Notizen der Selbstbeobachtung, der auf das Ich und seine unmittelbare Umwelt bezogenen Reflexion.

«Jeder Terror rechtfertigt sich mit objektiver Notwendigkeit. Umso mehr gilt es, unbeirrt subjektiv zu sein.»

Es gehört für mich zu den Büchern, die beweisen, dass Subjektivität und Politik tatsächlich nahe zusammengehören können, und ist gerade in diesem Punkt repräsentativ für Veränderung des politischen Klimas. Mit den Begriffen «links» und «rechts» – die vor Jahren noch einigermaßen tauglich waren – ist dem Engagement des Schriftstellers nicht beizukommen: es ist komplexer, reicher geworden, dabei aber keineswegs weniger verbindlich, weniger ernst: als Auflehnung des Lebendigen gegen eine Welt der Leistung, des Spiels gegen die Herrschaft der Technik, der Unruhe und Frage gegen die falschen Sicherheiten, der Liebe gegen das Machtdenken.

Die Notizen Martis enthalten viel von den Gedanken, auch von der Atmosphäre der späten 1970er Jahre; was sie aber nicht enthalten obgleich der Autor sehr genau darum weiß ist: Resignation. Vielmehr findet immer wieder Auflehnung gegen diese Krankheit der Zeit statt, bei aller Skepsis, bei allem Widerstand gegen falsche Hoffnungen. Um noch einmal auf den theologischen Aspekt des Buches zu kommen:

«Gott? Jener Große, Verrückte, der noch immer an den Menschen glaubt.»

Der Autor || Kurt Marti (* 31. Januar 1921 in Bern; † 11. Februar 2017 ebenda) war ein Schweizer Pfarrer und Schriftsteller. Er studierte Jura und Theologie in Bern und Basel. 1977 wurde er zum Ehrendoktor der Universität Bern ernannt. 1979 erhielt er den Kurt-Tucholsky-Preis. Seine Gedichte wurden in 14 Sprachen übersetzt.

Kurt Marti | Zärtlichkeit und Schmerz. Notizen.
Luchterhand, Darmstadt und Neuwied 1979.
Erhältlich ist u.a. diese broschierte Ausgabe:
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (Juni 1993)
ISBN-10: 3630613373
ISBN-13: 978-3630613376

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Glaube und Zweifel

Das tierische Gebet

Ich preise Dich Herr, / Darum hüpfe ich | Drutmar Cremer

Tiere beten in Dur heiter beschwingt schlitzohrig – so lautet der Untertitel dieses Buches. Und ja, ungewöhnliche Gebete sind das, die der Benedektiner Drutmar Cremer da verfasst hat.

Charakteristisch für das lyrische Werk des Dichters, Verlegers & Theologen Drutmar Cremer ist sein sparsames Vokabular, der Verzicht auf jegliche unnötige Ausschmückung. Teilweise meditativ zu nennen ist der Stil, in dem er Gedichte schreibt und immer ist in seinen Gedichten wie auch in seinen sonstigen literarischen Arbeiten die Kraft und der Einfluss seines Glaubens zu erkennen, ohne dass dieser im Vordergrund stehen muss. in diesem Falle steht er allerdings im Zentrum, denn die Tiere beten, mit menschlichen Zügen und für uns gut nachvollziehbar.

Die Gebete zielen darauf ab, die Verdrehtheiten des Daseins anzuerkennen, ihnen das Gute abzugewinnen, mit einem Lächeln. Der Ernst des Schattens wird aufgelöst durch Lichtflecke, die tanzen.

OSB Cremer scheint uns daran erinnern zu wollen, dass wir unseren Blick auf Flora und Fauna schärfen sollten um Zuversicht, Heiterkeit und die schöpferische Genialität in unseren Alltag zu ziehen.

Durch das Büchlein zieht sich, dass sich die Tiere mit Ihren Eigenschaften, ihrem Charakter und Äußerlichkeiten (in)direkt Gott vorstellen. Was ein wenig amüsant ist, denn Jahwe ist der Schöpfer und steht nicht im Ruf vergesslich zu sein.
Macht konzeptionell aber durchaus Sinn, denn es geht dem Autor wohl eher darum, uns beispielhaft anzuleiten in vergleichbarer Manier zu reflektieren.

Gebet der Katze

An Geschmeidigkeit, Herr,
an sanfter Eleganz,
an leiser Wendigkeit im Sprung
hast du es nicht
fehlen lassen – bei mir,
dem Edelfräulein deiner Schöpfung. Alle Achtung!

Aber eines bedarf deiner Erklärung:
Warum
gabst du mir –
der Dame von Rang –
den schönsten Schnurrbart der Welt?
.
.

Aus: Drutmar Cremer – Ich preise dich Herr
Illustration: Polykarp Uehlein – aus dem besprochenen Buch.

Die Lektüre der Cremerschen Gedichte hat zudem einen Nebeneffekt. Ich habe mein Verständnis vom Beten überdacht bzw. weiterentwickelt. Bisher hatte ich diese Form des Gesprächs, Monologs mit/gen einer „höheren Instanz“ eher an den Empfehlungen von Religionsprofis festgemacht. Davon löse ich mich zunehmend. Was für mich befreiend ist, da ich in meiner Kindheit und Jugend insbesondere katholisch geprägt wurde. Auf durchweg unangenehme Weise übrigens.

Das Gebet der Tiere hat etwas Spielerisches mit einer Prise Ernst und Ermunterndes. Das erinnert mich an Gespräche, in denen Thema war, wo man seinen Zugang zum Glauben sieht. Bei mir geht der in erster Linie über die Natur. Über das Bestaunen der Schöpfung an sich.

Zur Machart des Buches

Die Schrift ist in grün gehalten, ebenso die nüchtern reduziert und fröhlich wirkenden Illustrationen von Polykarp Uehlein. Der
Münsterschwarzacher Benediktiner Uehlein wirkt als Missionar in Tanzania. In der Buchbeschreibung findet sich eine Umschreibung der Zeichnungen, die mich schmunzeln lässt:

Wer diese Tiere anschaut, ihr Wesen und ihr Verhalten, der ahnt vielleicht, wie Gott den Menschen gedacht hat.

Hier ist mir doch manchmal die zu erbringende Transferleistung zu groß. Dennoch…genießen lassen sich die Illustrationen allemal.

Bei der Überlegung, ob Tiere wirklich beten habe ich zumindest drei Stellen in der Bibel gefunden, wo ihnen dies zugeschrieben wird:

Singet umeinander dem HERRN mit Dank und lobet unsern Gott mit Harfen, der den Himmel mit Wolken verdeckt und gibt Regen auf Erden; der Gras auf Bergen wachsen läßt; der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die ihn anrufen.

Psalm 147

41 Wer bereitet den Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und fliegen irre, weil sie nicht zu essen haben? 

Hiob 38

20 Auch die wilden Tiere schreien zu dir, / denn die Wasserläufe sind versiegt / und die Viehweiden vom Feuer verbrannt. 

Joel 1, Vers 20

Drutmar Cremer OSB

Geb. 1930, ist ein deutscher Schriftsteller, Verleger und Theologe. Nach seinem Abitur trat er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein, wo er 1958 zum Priester geweiht wurde. Von 1960 bis 1967 war er dann als Jugendseelsorger in Maria Laach tätig.

Seit 1971 leitet er den Kunstverlag Maria Laach und auch die dort ansässigen Kunstwerkstätten.

Pater Polykarp Uehlein

Geb. 1931, ist katholischer Geistlicher, Benediktinermönch, Maler und Glaskünstler.
Er studierte bei Georg Meistermann Malerei und reiste 1963 nach Tansania (Ostafrika) in das Missionarsgebiet der Abtei Ndanda aus.
Neben Glasfenstern zählen auch Zeichnungen, Acrylbilder und Aquarelle, aber auch in vielen anderen Techniken geschaffene abstrakte Bilder zu seinen Werken.
Er hat das Buch von Drutmar Cremer illustriert.

Ich preise Dich Herr, / Darum hüpfe ich | Drutmar Cremer

Tiere beten in Dur heiter beschwingt schlitzohrig – so lautet der Untertitel dieses Buches. Und ja, ungewöhnliche Gebete sind das, die der Benedektiner Drutmar Cremer da verfasst hat.

Charakteristisch für das lyrische Werk des Dichters, Verlegers & Theologen Drutmar Cremer ist sein sparsames Vokabular, der Verzicht auf jegliche unnötige Ausschmückung. Teilweise meditativ zu nennen ist der Stil, in dem er Gedichte schreibt und immer ist in seinen Gedichten wie auch in seinen sonstigen literarischen Arbeiten die Kraft und der Einfluss seines Glaubens zu erkennen, ohne dass dieser im Vordergrund stehen muss. in diesem Falle steht er allerdings im Zentrum, denn die Tiere beten, mit menschlichen Zügen und für uns gut nachvollziehbar.

Die Gebete zielen darauf ab, die Verdrehtheiten des Daseins anzuerkennen, ihnen das Gute abzugewinnen, mit einem Lächeln. Der Ernst des Schattens wird aufgelöst durch Lichtflecke, die tanzen.

OSB Cremer scheint uns daran erinnern zu wollen, dass wir unseren Blick auf Flora und Fauna schärfen sollten um Zuversicht, Heiterkeit und die schöpferische Genialität in unseren Alltag zu ziehen.

Durch das Büchlein zieht sich, dass sich die Tiere mit Ihren Eigenschaften, ihrem Charakter und Äußerlichkeiten (in)direkt Gott vorstellen. Was ein wenig amüsant ist, denn Jahwe ist der Schöpfer und steht nicht im Ruf vergesslich zu sein.
Macht konzeptionell aber durchaus Sinn, denn es geht dem Autor wohl eher darum, uns beispielhaft anzuleiten in vergleichbarer Manier zu reflektieren.

Gebet der Katze

An Geschmeidigkeit, Herr,
an sanfter Eleganz,
an leiser Wendigkeit im Sprung
hast du es nicht
fehlen lassen – bei mir,
dem Edelfräulein deiner Schöpfung. Alle Achtung!

Aber eines bedarf deiner Erklärung:
Warum
gabst du mir –
der Dame von Rang –
den schönsten Schnurrbart der Welt?
.
.

Aus: Drutmar Cremer – Ich preise dich Herr
Illustration: Polykarp Uehlein – aus dem besprochenen Buch.

Die Lektüre der Cremerschen Gedichte hat zudem einen Nebeneffekt. Ich habe mein Verständnis vom Beten überdacht bzw. weiterentwickelt. Bisher hatte ich diese Form des Gesprächs, Monologs mit/gen einer „höheren Instanz“ eher an den Empfehlungen von Religionsprofis festgemacht. Davon löse ich mich zunehmend. Was für mich befreiend ist, da ich in meiner Kindheit und Jugend insbesondere katholisch geprägt wurde. Auf durchweg unangenehme Weise übrigens.

Das Gebet der Tiere hat etwas Spielerisches mit einer Prise Ernst und Ermunterndes. Das erinnert mich an Gespräche, in denen Thema war, wo man seinen Zugang zum Glauben sieht. Bei mir geht der in erster Linie über die Natur. Über das Bestaunen der Schöpfung an sich.

Zur Machart des Buches

Die Schrift ist in grün gehalten, ebenso die nüchtern reduziert und fröhlich wirkenden Illustrationen von Polykarp Uehlein. Der
Münsterschwarzacher Benediktiner Uehlein wirkt als Missionar in Tanzania. In der Buchbeschreibung findet sich eine Umschreibung der Zeichnungen, die mich schmunzeln lässt:

Wer diese Tiere anschaut, ihr Wesen und ihr Verhalten, der ahnt vielleicht, wie Gott den Menschen gedacht hat.

Hier ist mir doch manchmal die zu erbringende Transferleistung zu groß. Dennoch…genießen lassen sich die Illustrationen allemal.

Bei der Überlegung, ob Tiere wirklich beten habe ich zumindest drei Stellen in der Bibel gefunden, wo ihnen dies zugeschrieben wird:

Singet umeinander dem HERRN mit Dank und lobet unsern Gott mit Harfen, der den Himmel mit Wolken verdeckt und gibt Regen auf Erden; der Gras auf Bergen wachsen läßt; der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die ihn anrufen.

Psalm 147

41 Wer bereitet den Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und fliegen irre, weil sie nicht zu essen haben? 

Hiob 38

20 Auch die wilden Tiere schreien zu dir, / denn die Wasserläufe sind versiegt / und die Viehweiden vom Feuer verbrannt. 

Joel 1, Vers 20

Drutmar Cremer OSB

Geb. 1930, ist ein deutscher Schriftsteller, Verleger und Theologe. Nach seinem Abitur trat er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein, wo er 1958 zum Priester geweiht wurde. Von 1960 bis 1967 war er dann als Jugendseelsorger in Maria Laach tätig.

Seit 1971 leitet er den Kunstverlag Maria Laach und auch die dort ansässigen Kunstwerkstätten.

Pater Polykarp Uehlein

Geb. 1931, ist katholischer Geistlicher, Benediktinermönch, Maler und Glaskünstler.

Er studierte bei Georg Meistermann Malerei und reiste 1963 nach Tansania (Ostafrika) in das Missionarsgebiet der Abtei Ndanda aus.

Neben Glasfenstern zählen auch Zeichnungen, Acrylbilder und Aquarelle, aber auch in vielen anderen Techniken geschaffene abstrakte Bilder zu seinen Werken.

Er hat das Buch von Drutmar Cremer illustriert.

Daten zum Buch

Drutmar Cremer
ICH PREISE DICH
DARUM HÜPFE ICH

Beuroner Kunstverlag
3-87071-049-7

Illustrationen: Polykarp Uehlein

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Feuilleton Märchen

Märchenliebe

Wenn die Menschen heute die Worte „Märchen“ hören, beschwören sie Bilder von sanften Waldgeschöpfen, tugendhaften Jungfrauen und (vor allem) Happy Ends herauf. Aber bis zur viktorianischen Ära vor etwa 150 Jahren waren die meisten Märchen dunkel und gewalttätig und oft voller sexueller Anspielungen, die den durchschnittlichen Sechsjährigen über den Kopf flogen. Hier sind sechs klassische – und klassisch beunruhigende – Märchen, die von den Leuten bei Disney so schnell nicht adaptiert werden.

Sonne, Mond und Talia

Diese frühe Version von „Dornröschen“, die 1634 veröffentlicht wurde, liest sich wie eine mittelalterliche Episode von „The Jerry Springer Show“. Talia, die Tochter eines großen Lords, bekommt beim Spinnen von Flachs einen Splitter ab und wird bewusstlos. Ein nahegelegener Königlicher passiert auf ihrem Anwesen und vergewaltigt Talia im Schlaf (die italienische Formulierung ist euphemistischer: „Er hob sie in seine Arme und trug sie zu einem Bett, wo er die ersten Früchte der Liebe sammelte“). Noch immer im Koma gebiert Talia Zwillinge, erwacht dann plötzlich und nennt sie „Sonne“ und „Mond“. Die Frau des Königs entführt Sonne und Mond und befiehlt ihrem Koch, sie lebendig zu braten und ihrem Vater zu servieren. Als der Koch sich weigert, beschließt die Königin, Talia stattdessen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Der König interveniert, wirft seine Frau in die Flammen, und er, Talia und die Zwillinge leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Bleiben Sie dran für mehr nach dieser Werbepause!

Das Märchen Sonne, Mond und Thalia ist die fünfte Erzählung des fünften (und letzten) Tages im Pentamerone von Giambattista Basile. Der erste Teil wird deutschsprachigen Märchenfreunden bekannt vorkommen: es ist im Wesentlichen die bekannte Geschichte von Dornröschen. Es folgt jedoch ein längerer zweiter Teil, in dem die junge Frau sich gegen eine boshafte Konkurrentin durchsetzen muss. In dieser Form findet sich das Märchen auch in der Sammlung von Charles Perrault, wo es den Titel Die schlafende Schöne im Wald trägt

Das seltsame Fest

„Eine Blutwurst lud eine Leberwurst zum Abendessen in ihr Haus ein, und die Leberwurst nahm die Einladung gerne an. Doch als sie die Schwelle des Wohnhauses der Blutwurst überschritt, sah sie viele seltsame Dinge: einen Besen und eine Schaufel, die auf der Treppe kämpften, einen Affen mit einer Wunde am Kopf und mehr…“. Wie um alles in der Welt konnten die Leute bei Disney dieses obskure deutsche Märchen übersehen? Um eine (schon kurze) Geschichte noch kürzer zu machen: Kaum entkommt die Leberwurst mit unversehrter Hülle, jagt sie die Blutwurst mit einem Messer die Treppe hinunter. Werfen Sie einfach eine Gesangs- und Tanznummer ein, und Sie haben 90 Minuten geistlose Unterhaltung!

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MikroFiktion

Octopocalypse

Einige sagen, die Welt wird in Feuer und Asche enden, andere sagen in Frost und Eis, wieder andere sagen, die Welt wird in Staub und Auflösung enden.
Ich sage, sie wird in Tentakeln enden. Vielen Tentakeln. Eine Octopocalypse.

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Lesart

Silberdistelwald

Als hätten sich György Kurtág, J.S. Bach und Oskar Loerke zum Distelpflücken am Hubertussee getroffen.

Der Silberdistelwald

Mein Haus, es steht nun mitten
Im Silberdistelwald.
Pan ist vorbeigeschritten.
Was stritt, hat ausgestritten
In seiner Nachtgestalt.

Die bleichen Disteln starren
Im Schwarz, ein wilder Putz.
Verborgne Wurzeln knarren:
Wenn wir Pans Schlaf verscharren,
Nimmt niemand ihn in Schutz.

Vielleicht, dass eine Blüte
Zu tiefer Kommunion
Ihm nachfiel und verglühte:
Mein Vater du, ich hüte,
Ich hüte dich, mein Sohn.

Der Ort liegt waldinmitten,
Von stillstem Licht gefleckt.
Mein Herz – nichts kam geritten,
Kein Einhorn kam geschritten –
Mein Herz nur schlug erweckt.

Oskar Loerke | 1934

Begleitmusik | Játékok. Marta und György Kurtág spielen J. S. Bach. ECM Records, ℗1997. Darauf zu finden: Distel III, 14 — Dauer: 24 Sekunden. Ob das dieser Pflanze gerecht wird?

Diese Aufnahme gehört nicht zur erwähnten ECM-CD. Bogáncs ist übrigens das ungarische Wort für Distel. Játékok – Bogáncs · György Kurtág | Kamarazene (Kammermusik) | ℗ 1976 HUNGAROTON RECORDS LTD.

Der „Silberdistelwald“ des Oskar Loerke liegt am Hubertussee, geschaffen im Zusammenhang mit dem Bau der Gartenstadt Frohnau aus einem verlandeten Tümpel. Im späten 19. Jahrhundert wurde hier Ton für die nahegelegene Ziegelei gegraben. [Loerkes Vater war übigens Ziegeleibesitzer.]

Oskar Loerke (* 13. März 1884 in Jungen bei Schwetz/ Wiąg in Westpreußen; † 24. Februar 1941 in Berlin) war ein deutscher Dichter des Expressionismus und des Magischen Realismus. Das Gedicht erschien 1934 im gleichnamigen Gedichtband.
Seine ausgeprägte Liebe zur Musik fand u.a. Ausdruck in veröffentlichten Texten zu Johann Sebastian Bach und 1938 zu Anton Bruckner:
1922 Wandlungen eines Gedankens über die Musik und ihren Gegenstand bei Johann Sebastian Bach
1935 Das unsichtbare Reich. Johann Sebastian Bach, S. Fischer
1938 Anton Bruckner. Ein Charakterbild

Begleitmusik 2 | Johann Sebastian Bach „Geschwinde, ihr wirbelnden Winde (BWV 201)“ –  eine weltliche Kantate. Im Autograph trägt sie den Titel „Der Streit zwischen Phoebus und Pan“.