Kategorien
Glaube und Zweifel

Glaube und Zweifel

In diesem Schwer. soll es um die Fragen gehen: War und ist Lyrik relevant im Dialog zwischen Gläubigen, zwischen Gläubigen und Zweifelnden? Wenn ja, in welcher Form? Wie können wir bildhafte Sprache zur Vermittlung von Inhalten nutzen? Auch für die eigene Annäherung an den religiösen, spirituellen Glauben? Lässt sich mit Lyrik und Kurzprosa eine Brücke bauen für Menschen die zum Glauben keinen oder nur schwer Einstieg finden? Oder für die, die einen reflektierten Ausstieg suchen?

Kategorien
Glaube und Zweifel Sudelbuch | Glaube und Zweifel

Abendsegen…

für die mit Narben
| für die ohne Familie
| für die ohne Frieden
| für die in Tränen
| für die ohne gesunden Schlaf
| für die ohne Erinnerung
| für die mit Herz
| für die in Verantwortung
| für die inmitten von Sehnsucht
| für die Heilenden
und
für Dich heute Nacht.

Ein Segen: durch Worte, Formeln, Gebärden ausgedrückter Wunsch an eine in religiöser Vorstellung existierende höhere Macht, Gnade, Glück, Gedeihen, Schutz zu schenken.

Kategorien
Glaube und Zweifel Lesart

Hartwig Rademacher | Akute Literatur

» Ich habe keine Bücher, die Bücher haben mich. «

Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer des Merve Verlags Peter Gente

Dieses Zitat kam mir bei diesem Buch in den Sinn, als es mir in die Hände fiel.

Ein bibliographische Zeilenwurf, vom Autor so untertitelt, der aus Hunderten Literaturangaben aus den Bereichen Ästhetik, Religion, Soziologie und vornehmlich Psychologie besteht. Nicht mehr und nicht weniger. Weder die angeführten AutorInnen noch deren Texte gibt es wirklich und es scheint, dass Hartwig Rademacher LeserInnen und möglicherweise sich selbst einlädt, daraus Tatsachen zu schaffen. Viele der Titel locken mehr wissen zu wollen, werfen das Kopfkino an, irritieren, werfen Fragen auf, regen zum Nachdenken an, bringen zum Schmunzeln. Bei einigen Titeln habe ich einen Moment länger gebraucht um das „Akute“ darin zu entdecken. Und: nicht wenige genügen bereits als Textminiaturen, als „schöne Worte“ die man so stehen lassen kann.

Hartwig Rademacher | Akute Literatur | Merve Verlag Berlin

Der Autor hat sein Werk „Akute Literatur“ genannt; und Hanns-Josef Ortheil hat in seiner Kurzrezension für die Zeitung „Die Welt“ angemerkt, dass hier eine Bibliographie von Titeln vorliegt, in denen Rademacher etwas „Akutes“ entdeckt hat. Nun bedeutet ja der Begriff u.a. „in einem bestimmten Moment (sehr) wichtig“. Im Zusammenhang mit Rademachers Werk gefällt mir persönlich die herkunftliche Entlehnung aus dem Lateinischen acutus „scharf, spitz“, gebildet zu lateinisch acuere „schärfen, spitzen“ sehr gut; indem ich beim Lesen die Einladung annehme, den Titeln eine individuelle Form zu geben.

Die Bibliografie bezieht sich ausnahmslos auf Sachliteratur; zumindest konnte ich nichts aus Prosa oder Lyrik finden…wobei ich mich gefragt habe, ob sich die Titel teils nicht mindestens genauso gut in einem Gedicht oder einer Kurzgeschichte ausarbeiten lassen. Um auf das obige Zitat von Peter Gente zurückzukommen: dieses Buch hat einen, und man kommt immer wieder darauf zurück. Zumindest mir geht es mir so.

Der Autor | Hartwig Rademacher, geboren 1969 in Paderborn, studierte Psychologie in Bielefeld und Boca Raton. Er lebt in Bielefeld. Das Buch ist Elisabeth gewidmet.
Die Lektüre brachte mich schlussendlich zu der Frage: ist der Name des Autors vielleicht ein Pseudonym? Es würde zum Konzept passen. 


Hartwig Rademacher | Akute Literatur
Bibliographischer Zeilenwurf
Merve Verlag Berlin 2003
Taschenbuch
ISBN 3-88396-191-4
Preis: 8 €

Kategorien
Glaube und Zweifel Lesart

Kurt Marti | Zärtlichkeit & Schmerz

Dieses Buch von Kurt Marti aus dem Jahre 1979 trägt den Titel : Zärtlichkeit und Schmerz | Notizen. Die Formulierung wirkt auf eine überraschende, fast provokative Art emotional und subjektiv, was umso mehr auffällt, als der Autor sonst einen mehr sachlichen Ton bevorzugt und übrigens seit jeher als einer der profiliertesten Vertreter der sogenannten «engagierten» Literatur angesehen wird. Sein ProsaWerk, das politische Tagebuch «Zum Beispiel Bern 1972» gilt als ein Höhepunkt der politisch gerichteten Literatur der 1960er Jahre; es hat seinerzeit auch entsprechend Staub aufgewirbelt (auch wenn sich dadurch die Verhältnisse nicht geändert haben).
Politik und Subjektivität, das Allgemeine und der Einzelne, das Öffentliche und das Private sind in der schweizerischen Literatur nie getrennte Bereiche gewesen, am wenigsten in den wirklich bedeutenden und repräsentativen Werken. Das literarische Schaffen Martis ist ein Beispiel dafür.

Schon «Zum Beispiel Bern 1972» ist bewusst als Tagebuch konzipiert und nicht etwa als Pamphlet; es enthält nicht nur Polemik, sondern zugleich den Ansatz zu einer Art «Innerlichkeit der Politik» (am deutlichsten vielleicht in der Frage, ob Menschen verschiedener politischer Richtungen auch unterschiedliche Träume hätten). In «Zärtlichkeit und Schmerz» finden sich ebenfalls viele tagebuchartige Passagen und eine stark persönliche Färbung.

«Jeder Terror rechtfertigt sich mit objektiver Notwendigkeit. Um so mehr gilt es, unbeirrt subjektiv zu sein.»

Kurt Marti
Das Buch in meinem Bucherregal

Der Titel bezieht sich nicht auf das Erleben des Autors; er gehört vielmehr in den theologischen Kontext des Buches, als Teil einer Neudefinition Gottes, der in dezidierter Ablehnung der «männlichen» Vorstellung eines allmächtigen, überhaupt eines mit dem Machtbegriff zu erfassenden Gottes identifiziert wird mit «Liebe, Zärtlichkeit, Schmerz».
So ist denn dieses Werk Martis ein primär theologischer Text, anzugehen mit den entsprechenden Begriffen und Fragestellungen?
Vielleicht ist tatsächlich seit den «Gedichten am Rand» das Theologische in seinen Büchern nie so deutlich, so explizit formuliert worden, aber was hier als Theologie auftritt, ist so unorthodox und unkonventionell, dass jede nicht-theologische Interpretation ebenso richtig, vielleicht sogar passender ist. Dies auf den ersten Blick so einfache, verständliche, ja umgängliche Buch ist im Grunde ein umfassendes Werk, ein Versuch, in einer Vielzahl von kurzen Texten (Ansätze zu Erzählungen, Mini-Essays, Aphorismen, spruchartige Sätze, lyrische Prosa, Blitzlichter der Beobachtung) Vielfältiges und Gegensätzliches zusammenzubringen; ein verwirrendes und doch sinnvolles Puzzle, Spiegelung eines vielfältigen Eindrücken ausgesetzten zeitgenössischen Bewusstseins.

Allmacht | Gott kann nicht einmal abdanken, d.h. einer Machtposition entsagen, weil er eine solche nie innegehabt hat.

Ein Tagebuch ist es allerdings nicht; die Form ist trotz des beiläufig anmutenden Untertitels strenger und anspruchsvoller: die Notizen enthalten, was sich dem Tag an Erkenntnis abgewinnen lässt, die den Tag überdauert, ohne ihm doch entrückt zu sein, geformt und fragmentarisch zugleich. Ob alles an diesen Einfällen, Beobachtungen, Gedanken des Aufzeichnens wert sei – ich habe die Frage mit dem Ton des Zweifels, der leisen Kritik gehört, und es gibt gewiss unter den aphoristischen Bemerkungen ein paar mehr beiläufig formulierte Sätze, die allein das Buch nicht tragen könnten, es freilich auch nicht tragen müssen. Aber vielleicht sind in einem Buch wie «Zärtlichkeit und Schmerz» auch die beiläufigen Bemerkungen ein rascher Einfall, eine halb spielerische Formulierung, Ausdruck des Ärgers notwendig. Denn die «Notizen» sollen auf keinen Fall gelesen werden als eine Blütenlese von Sentenzen, überzeitlich und vollkommen.
Noch in keinem bisherigen Buch Martis hat der Alltag eine so wichtige Rolle gespielt wie hier, und wenn es sich auch um ein im wesentlichen theologisches Buch handelt, dann nur in dem Sinn, dass Theologie den Alltag und dessen Banalität nicht ausklammert.

«Der Tiefenpsychologie verdanken wir die Einsicht, dass die wahren Mysterien weder eleusisch noch tibetanisch, weder transzendent noch okkult, sondern alltäglich sind»: ein nicht leicht zu deutender, jedoch zentraler Satz.

Es gibt sehr wenig reine Spekulation in diesem Buch, aber sehr viel Nachdenken über grundsätzliche, sogenannte «letzte» Fragen aufgrund von Alltagserfahrungen. Unter dem Titel des vierten Kapitels «Hader mit Leibniz» steht nicht etwa ein philosophisches Streitgespräch, sondern die Erfahrung eines alten Mannes, der am Sterbebett seiner Frau (die nur noch in «arteriosklerotischer Bosheit dahindämmert») den leicht, aufklärerischen Traum von der besten aller möglichen Welten begräbt.
So wenig aber Theologie und Alltag getrennte Bereiche sind, so wenig lassen sich – um noch einmal auf die eingangs aufgeworfene Frage zu Politik und Subjektivität kommen – voneinander lösen. Ich möchte sogar behaupten, dass «Zärtlichkeit und Schmerz» über eine gehörige politische Kraft verfügt, nicht wegen der im eigentlichen Sinn politischen Sätze, sondern gerade in den scheinbar nur subjektiven Notizen der Selbstbeobachtung, der auf das Ich und seine unmittelbare Umwelt bezogenen Reflexion.

«Jeder Terror rechtfertigt sich mit objektiver Notwendigkeit. Umso mehr gilt es, unbeirrt subjektiv zu sein.»

Es gehört für mich zu den Büchern, die beweisen, dass Subjektivität und Politik tatsächlich nahe zusammengehören können, und ist gerade in diesem Punkt repräsentativ für Veränderung des politischen Klimas. Mit den Begriffen «links» und «rechts» – die vor Jahren noch einigermaßen tauglich waren – ist dem Engagement des Schriftstellers nicht beizukommen: es ist komplexer, reicher geworden, dabei aber keineswegs weniger verbindlich, weniger ernst: als Auflehnung des Lebendigen gegen eine Welt der Leistung, des Spiels gegen die Herrschaft der Technik, der Unruhe und Frage gegen die falschen Sicherheiten, der Liebe gegen das Machtdenken.

Die Notizen Martis enthalten viel von den Gedanken, auch von der Atmosphäre der späten 1970er Jahre; was sie aber nicht enthalten obgleich der Autor sehr genau darum weiß ist: Resignation. Vielmehr findet immer wieder Auflehnung gegen diese Krankheit der Zeit statt, bei aller Skepsis, bei allem Widerstand gegen falsche Hoffnungen. Um noch einmal auf den theologischen Aspekt des Buches zu kommen:

«Gott? Jener Große, Verrückte, der noch immer an den Menschen glaubt.»

Der Autor || Kurt Marti (* 31. Januar 1921 in Bern; † 11. Februar 2017 ebenda) war ein Schweizer Pfarrer und Schriftsteller. Er studierte Jura und Theologie in Bern und Basel. 1977 wurde er zum Ehrendoktor der Universität Bern ernannt. 1979 erhielt er den Kurt-Tucholsky-Preis. Seine Gedichte wurden in 14 Sprachen übersetzt.

Kurt Marti | Zärtlichkeit und Schmerz. Notizen.
Luchterhand, Darmstadt und Neuwied 1979.
Erhältlich ist u.a. diese broschierte Ausgabe:
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (Juni 1993)
ISBN-10: 3630613373
ISBN-13: 978-3630613376

Kategorien
Glaube und Zweifel

Das tierische Gebet

Ich preise Dich Herr, / Darum hüpfe ich | Drutmar Cremer

Tiere beten in Dur heiter beschwingt schlitzohrig – so lautet der Untertitel dieses Buches. Und ja, ungewöhnliche Gebete sind das, die der Benedektiner Drutmar Cremer da verfasst hat.

Charakteristisch für das lyrische Werk des Dichters, Verlegers & Theologen Drutmar Cremer ist sein sparsames Vokabular, der Verzicht auf jegliche unnötige Ausschmückung. Teilweise meditativ zu nennen ist der Stil, in dem er Gedichte schreibt und immer ist in seinen Gedichten wie auch in seinen sonstigen literarischen Arbeiten die Kraft und der Einfluss seines Glaubens zu erkennen, ohne dass dieser im Vordergrund stehen muss. in diesem Falle steht er allerdings im Zentrum, denn die Tiere beten, mit menschlichen Zügen und für uns gut nachvollziehbar.

Die Gebete zielen darauf ab, die Verdrehtheiten des Daseins anzuerkennen, ihnen das Gute abzugewinnen, mit einem Lächeln. Der Ernst des Schattens wird aufgelöst durch Lichtflecke, die tanzen.

OSB Cremer scheint uns daran erinnern zu wollen, dass wir unseren Blick auf Flora und Fauna schärfen sollten um Zuversicht, Heiterkeit und die schöpferische Genialität in unseren Alltag zu ziehen.

Durch das Büchlein zieht sich, dass sich die Tiere mit Ihren Eigenschaften, ihrem Charakter und Äußerlichkeiten (in)direkt Gott vorstellen. Was ein wenig amüsant ist, denn Jahwe ist der Schöpfer und steht nicht im Ruf vergesslich zu sein.
Macht konzeptionell aber durchaus Sinn, denn es geht dem Autor wohl eher darum, uns beispielhaft anzuleiten in vergleichbarer Manier zu reflektieren.

Gebet der Katze

An Geschmeidigkeit, Herr,
an sanfter Eleganz,
an leiser Wendigkeit im Sprung
hast du es nicht
fehlen lassen – bei mir,
dem Edelfräulein deiner Schöpfung. Alle Achtung!

Aber eines bedarf deiner Erklärung:
Warum
gabst du mir –
der Dame von Rang –
den schönsten Schnurrbart der Welt?
.
.

Aus: Drutmar Cremer – Ich preise dich Herr
Illustration: Polykarp Uehlein – aus dem besprochenen Buch.

Die Lektüre der Cremerschen Gedichte hat zudem einen Nebeneffekt. Ich habe mein Verständnis vom Beten überdacht bzw. weiterentwickelt. Bisher hatte ich diese Form des Gesprächs, Monologs mit/gen einer „höheren Instanz“ eher an den Empfehlungen von Religionsprofis festgemacht. Davon löse ich mich zunehmend. Was für mich befreiend ist, da ich in meiner Kindheit und Jugend insbesondere katholisch geprägt wurde. Auf durchweg unangenehme Weise übrigens.

Das Gebet der Tiere hat etwas Spielerisches mit einer Prise Ernst und Ermunterndes. Das erinnert mich an Gespräche, in denen Thema war, wo man seinen Zugang zum Glauben sieht. Bei mir geht der in erster Linie über die Natur. Über das Bestaunen der Schöpfung an sich.

Zur Machart des Buches

Die Schrift ist in grün gehalten, ebenso die nüchtern reduziert und fröhlich wirkenden Illustrationen von Polykarp Uehlein. Der
Münsterschwarzacher Benediktiner Uehlein wirkt als Missionar in Tanzania. In der Buchbeschreibung findet sich eine Umschreibung der Zeichnungen, die mich schmunzeln lässt:

Wer diese Tiere anschaut, ihr Wesen und ihr Verhalten, der ahnt vielleicht, wie Gott den Menschen gedacht hat.

Hier ist mir doch manchmal die zu erbringende Transferleistung zu groß. Dennoch…genießen lassen sich die Illustrationen allemal.

Bei der Überlegung, ob Tiere wirklich beten habe ich zumindest drei Stellen in der Bibel gefunden, wo ihnen dies zugeschrieben wird:

Singet umeinander dem HERRN mit Dank und lobet unsern Gott mit Harfen, der den Himmel mit Wolken verdeckt und gibt Regen auf Erden; der Gras auf Bergen wachsen läßt; der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die ihn anrufen.

Psalm 147

41 Wer bereitet den Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und fliegen irre, weil sie nicht zu essen haben? 

Hiob 38

20 Auch die wilden Tiere schreien zu dir, / denn die Wasserläufe sind versiegt / und die Viehweiden vom Feuer verbrannt. 

Joel 1, Vers 20

Drutmar Cremer OSB

Geb. 1930, ist ein deutscher Schriftsteller, Verleger und Theologe. Nach seinem Abitur trat er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein, wo er 1958 zum Priester geweiht wurde. Von 1960 bis 1967 war er dann als Jugendseelsorger in Maria Laach tätig.

Seit 1971 leitet er den Kunstverlag Maria Laach und auch die dort ansässigen Kunstwerkstätten.

Pater Polykarp Uehlein

Geb. 1931, ist katholischer Geistlicher, Benediktinermönch, Maler und Glaskünstler.
Er studierte bei Georg Meistermann Malerei und reiste 1963 nach Tansania (Ostafrika) in das Missionarsgebiet der Abtei Ndanda aus.
Neben Glasfenstern zählen auch Zeichnungen, Acrylbilder und Aquarelle, aber auch in vielen anderen Techniken geschaffene abstrakte Bilder zu seinen Werken.
Er hat das Buch von Drutmar Cremer illustriert.

Ich preise Dich Herr, / Darum hüpfe ich | Drutmar Cremer

Tiere beten in Dur heiter beschwingt schlitzohrig – so lautet der Untertitel dieses Buches. Und ja, ungewöhnliche Gebete sind das, die der Benedektiner Drutmar Cremer da verfasst hat.

Charakteristisch für das lyrische Werk des Dichters, Verlegers & Theologen Drutmar Cremer ist sein sparsames Vokabular, der Verzicht auf jegliche unnötige Ausschmückung. Teilweise meditativ zu nennen ist der Stil, in dem er Gedichte schreibt und immer ist in seinen Gedichten wie auch in seinen sonstigen literarischen Arbeiten die Kraft und der Einfluss seines Glaubens zu erkennen, ohne dass dieser im Vordergrund stehen muss. in diesem Falle steht er allerdings im Zentrum, denn die Tiere beten, mit menschlichen Zügen und für uns gut nachvollziehbar.

Die Gebete zielen darauf ab, die Verdrehtheiten des Daseins anzuerkennen, ihnen das Gute abzugewinnen, mit einem Lächeln. Der Ernst des Schattens wird aufgelöst durch Lichtflecke, die tanzen.

OSB Cremer scheint uns daran erinnern zu wollen, dass wir unseren Blick auf Flora und Fauna schärfen sollten um Zuversicht, Heiterkeit und die schöpferische Genialität in unseren Alltag zu ziehen.

Durch das Büchlein zieht sich, dass sich die Tiere mit Ihren Eigenschaften, ihrem Charakter und Äußerlichkeiten (in)direkt Gott vorstellen. Was ein wenig amüsant ist, denn Jahwe ist der Schöpfer und steht nicht im Ruf vergesslich zu sein.
Macht konzeptionell aber durchaus Sinn, denn es geht dem Autor wohl eher darum, uns beispielhaft anzuleiten in vergleichbarer Manier zu reflektieren.

Gebet der Katze

An Geschmeidigkeit, Herr,
an sanfter Eleganz,
an leiser Wendigkeit im Sprung
hast du es nicht
fehlen lassen – bei mir,
dem Edelfräulein deiner Schöpfung. Alle Achtung!

Aber eines bedarf deiner Erklärung:
Warum
gabst du mir –
der Dame von Rang –
den schönsten Schnurrbart der Welt?
.
.

Aus: Drutmar Cremer – Ich preise dich Herr
Illustration: Polykarp Uehlein – aus dem besprochenen Buch.

Die Lektüre der Cremerschen Gedichte hat zudem einen Nebeneffekt. Ich habe mein Verständnis vom Beten überdacht bzw. weiterentwickelt. Bisher hatte ich diese Form des Gesprächs, Monologs mit/gen einer „höheren Instanz“ eher an den Empfehlungen von Religionsprofis festgemacht. Davon löse ich mich zunehmend. Was für mich befreiend ist, da ich in meiner Kindheit und Jugend insbesondere katholisch geprägt wurde. Auf durchweg unangenehme Weise übrigens.

Das Gebet der Tiere hat etwas Spielerisches mit einer Prise Ernst und Ermunterndes. Das erinnert mich an Gespräche, in denen Thema war, wo man seinen Zugang zum Glauben sieht. Bei mir geht der in erster Linie über die Natur. Über das Bestaunen der Schöpfung an sich.

Zur Machart des Buches

Die Schrift ist in grün gehalten, ebenso die nüchtern reduziert und fröhlich wirkenden Illustrationen von Polykarp Uehlein. Der
Münsterschwarzacher Benediktiner Uehlein wirkt als Missionar in Tanzania. In der Buchbeschreibung findet sich eine Umschreibung der Zeichnungen, die mich schmunzeln lässt:

Wer diese Tiere anschaut, ihr Wesen und ihr Verhalten, der ahnt vielleicht, wie Gott den Menschen gedacht hat.

Hier ist mir doch manchmal die zu erbringende Transferleistung zu groß. Dennoch…genießen lassen sich die Illustrationen allemal.

Bei der Überlegung, ob Tiere wirklich beten habe ich zumindest drei Stellen in der Bibel gefunden, wo ihnen dies zugeschrieben wird:

Singet umeinander dem HERRN mit Dank und lobet unsern Gott mit Harfen, der den Himmel mit Wolken verdeckt und gibt Regen auf Erden; der Gras auf Bergen wachsen läßt; der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die ihn anrufen.

Psalm 147

41 Wer bereitet den Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und fliegen irre, weil sie nicht zu essen haben? 

Hiob 38

20 Auch die wilden Tiere schreien zu dir, / denn die Wasserläufe sind versiegt / und die Viehweiden vom Feuer verbrannt. 

Joel 1, Vers 20

Drutmar Cremer OSB

Geb. 1930, ist ein deutscher Schriftsteller, Verleger und Theologe. Nach seinem Abitur trat er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein, wo er 1958 zum Priester geweiht wurde. Von 1960 bis 1967 war er dann als Jugendseelsorger in Maria Laach tätig.

Seit 1971 leitet er den Kunstverlag Maria Laach und auch die dort ansässigen Kunstwerkstätten.

Pater Polykarp Uehlein

Geb. 1931, ist katholischer Geistlicher, Benediktinermönch, Maler und Glaskünstler.

Er studierte bei Georg Meistermann Malerei und reiste 1963 nach Tansania (Ostafrika) in das Missionarsgebiet der Abtei Ndanda aus.

Neben Glasfenstern zählen auch Zeichnungen, Acrylbilder und Aquarelle, aber auch in vielen anderen Techniken geschaffene abstrakte Bilder zu seinen Werken.

Er hat das Buch von Drutmar Cremer illustriert.

Daten zum Buch

Drutmar Cremer
ICH PREISE DICH
DARUM HÜPFE ICH

Beuroner Kunstverlag
3-87071-049-7

Illustrationen: Polykarp Uehlein

Kategorien
Glaube und Zweifel Lesart

In the desert

Stephen Crane hat ein nachdenkliches Gedicht über die menschliche Natur und Gier geschrieben. Es wurde erstmals 1895 veröffentlicht. Das Gedicht handelt von einem Menschen, der eine Kreatur in der Wüste erblickt, die ihr Herz isst. Bedrückend veranschaulicht der Autor zudem, wie die Kreatur diese barbarische Handlung rechtfertigt. Obwohl das Gedicht nur zehn Zeilen hat, bringt es die dunkleren Aspekte der menschlichen Natur perfekt ans Licht.

In the desert
I saw a creature, naked, bestial, 
Who, squatting upon the ground, 
Held his heart in his hands, 
And ate of it.
I said, “Is it good, friend?” 
“It is bitter—bitter,” he answered;
“But I like it
“Because it is bitter,
“And because it is my heart.”

Stephen Crane

Dieses kurze lyrische Gedicht besteht aus einem einzigen Satz, der die erste Hälfte des Stücks und die zweite Hälfte, eine Frage und eine Antwort, umfasst. Die Stimme in dem Gedicht spricht in der ersten Person von einer früheren Begegnung mit einem wilden Mann in der Wüste und zitiert dann für den Leser die Worte, die zwischen ihnen gesprochen wurden. Das Gedicht ist kurz, sehr kompakt und leicht zweideutig, so dass ein genauer Blick auf jede Zeile und die Definition der darin enthaltenen Wörter helfen wird, die Bedeutung zu erforschen.

Die erste Zeile legt den Schauplatz des Gedichts fest, aber beachten Sie, dass es sich um die Wüste und nicht um eine Wüste handelt, so dass daraus geschlossen werden muss, dass die Bedeutung der Wüste größer ist als der physische Ort. Eine Wüste ist ein unfruchtbarer Ort; unfruchtbar hat einen weiten Bedeutungsbereich, leer in seiner einfachsten Form, aber auch unfähig, Früchte zu tragen, so wie eine Frau auch unfruchtbar sein kann. Wüsten gelten als isoliert und werden mit Verlassenheit assoziiert. Die zweite Zeile führt den Agenten unserer Metapher ein; nackt bedeutet, ohne Bedeckung, Verbergen, Verkleidung oder Verschönerung zu sein, und wird mit Verwundbarkeit assoziiert; bestialisch ist hier ein variables Wort, weil es je nach Leser die Bedeutung des Gedichts verändern kann. Bestialisch bedeutet, brutal oder verderbt zu sein, aber auch ohne Intelligenz oder Vernunft; man könnte es sogar in seiner niedrigsten Form nehmen, tierähnlich oder untermenschlich, was das Gedicht näher an einen Menschen gegen die Natur des Menschen im Thema bringen würde. Dann der Nebensatz des ersten Satzes, der die Zeilen drei bis fünf bildet. Das Geschöpf hockt auf dem Boden, was nicht nur ein tierähnliches Verhalten zeigt, sondern auch einen Höhenunterschied schafft, der als symbolisch interpretiert werden kann, da sich das Geschöpf in der untersten Tiefe des menschlichen Fassungsvermögens befindet. Obwohl es Kreatur genannt wird, hält es sein eigenes Herz in den Händen, nicht Krallen oder Pfoten, und ganz am Anfang von Zeile drei wird es als wer bezeichnet, während das passende Wort welches wäre, wenn es sich auf ein Tier bezieht. So erhalten wir trotz der tierähnlichen Beschreibung ein Gefühl von Menschlichkeit, als ob es irgendwann einmal menschlich gewesen wäre. Die Kreatur isst von seinem eigenen Herzen. Das Wort Herz kann hier nicht einfach das Organ bedeuten, obwohl es das Bild ist. Das Herz gilt als der emotionale Kern des Körpers und der Seele, und auf den moralischen Zustand der Person wird oft durch die Beschreibung des fiktiven physischen Zustands des Herzens verwiesen, wie z.B. schwarz, bitter, verschrumpelt oder ebenfalls aus Gold. In Zeile sechs fragt der Redner das Geschöpf, ob es (das Herz) gut ist, und nennt es Freund. Diese Zeile tut zweierlei: Sie stellt fest, dass die Kreatur sprechen kann, wodurch ihre menschliche Qualität gefestigt wird, und sie beseitigt die Vorstellung, dass die Kreatur bedrohlich ist, die die seltsame und monströse Beschreibung in der ersten Hälfte hervorrief. Als nächstes antwortet die Kreatur, indem sie es bitter nennt, ein Wort, das einen beißenden Geschmack bedeutet, der sich zu einer Vielzahl unterschiedlicher emotionaler Assoziationen entwickelt hat, wie z.B. Groll, Zynismus, scharf unangenehm und schwer oder schmerzhaft zu akzeptieren oder zu ertragen.

Wie Crane selbst sagen könnte, ist hier der interessante Teil: Die Kreatur behauptet, den Geschmack seines Herzens zu mögen, weil er bitter ist und weil es sein Herz ist. Es wird uns nicht gesagt, warum sein Herz bitter ist, ob es angeboren ist oder ob es daran liegt, dass er in einer Wüste ausgesetzt wurde; beides sind vernünftige Lesarten, die davon abhängen, ob man die Kreatur so interpretiert, dass sie die Natur des Menschen oder den ausrangierten, sozialen Außenseiter des Menschen in der tiefsten Tiefe des menschlichen Leidens darstellt. Die Kreatur schreit nicht, sie antwortet einfach, dass das bittere Herz ihr eigenes ist, als ob sie keine andere Wahl hätte, als sich an dem zu erfreuen, was sie geworden ist, indem sie sich von der Bitterkeit ernährt, die dort kultiviert wurde.

Hier die Lesart des Gedichtes von Noor Visser:

In the desert ist ein Ausdruck des Staunens. Das lyrische Ich beginnt mit der Beschreibung einer Kreatur, die es in der Wüste sieht. Diese erscheint dem Erzähler wie eine Tiergestalt, die auf dem Boden hockt. Zu seiner Überraschung hält es sein Herz halb aufgefressen in der Hand. Da fragt das Ich die Kreatur nach dem Geschmack des Herzens, worauf sie antwortet, es sei bitter. Und behauptet auch noch, es gerne zu essen.

Ich vermute, auf einer tieferen Ebene beschreibt das Gedicht verschiedene Aspekte, Wahrheiten dieses Lebens. Die Einsamkeit des Geschöpfes steht möglicherweise für eine innere Unzufriedenheit, das Essen des eigenen Herzens für eine gewalttätige und gierige Natur. Und doch: Ungeachtet aller Fehler und Bitterkeit liebt und genießt das Geschöpf den gegenwärtigen elenden Zustand seines Lebens.

Gier und Selbstliebe sind die herausragenden Themen dieses Gedichtes. Das Gedicht dreht sich um zwei Charaktere, einen Wilden, der fröhlich eine böse Tat begeht, und einen passiven Mann, der nicht versucht, diese Bestie aufzuhalten. Stattdessen erlaubt er ihm, seine Praxis fortzusetzen. Auf der oberflächlichen Ebene reflektiert das Gedicht die Begegnung des Redners mit einer seltsamen Gestalt in der Wüste, die gnadenlos und voller Stolz sein eigenes Herz verspeist.

Stephen Crane ist ein tiefgründiger und wahrhaftiger Dichter. Was ich an diesem Gedicht spannend finde, sind die unheimlichen und geheimnisvollen Töne, die er in seinem gesamten Text verwendet. Als ich das Gedicht „In der Wüste“ las, musste ich es einige Male lesen, um das Konzept dessen zu begreifen, das Crane darzustellen versuchte.

Die Szenerie findet in der Wüste statt, die ein Symbol für Leere und Ewigkeit ist. Das Geschöpf, das „sein Herz in den Händen hielt“ , verschlingt das Organ, während es sich hinhockt und verstümmelt, was ihm gehört. (Und was ihn u.a. ausmacht?)

Stephen Crane stellt das Herz als sich selbst dar, und auf die Frage „Ist es gut, Freund?“ stimmt die Kreatur zu und verzehrt weiter, was übrig bleibt. Die Kreatur repräsentiert den Menschen, so wie das Herz das Bewusstsein eines Menschen repräsentiert. Als ich dieses Gedicht las, dachte ich über die Grundschule nach und wie die goldene Regel lautete: „Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden würdest“.
Wenn man die Regel missachtet, demoralisiert man seinen Charakter mit einer bitteren Seele und bitterem Herzen. Die Kreatur wird in der Wüste gefunden, weil sie nichts hat. Es wird in der Grube seiner eigenen Hölle und Verzweiflung entleert, indem es mit sich selbst isoliert ist. Während sie isst, antwortet sie dem Mann: „Es ist bitter-bitter“, was Selbstzerstörung und Elend zur Folge hat. Sie frönt ihrem blutigen Eingeweide und sagt: „Aber ich mag es, denn es ist bitter, und es ist mein Herz“. Indem sie die bittere Frucht zu sich nimmt, verdirbt die Kreatur sich noch mehr; der Mangel an SelbstEmpathie regiert.

Das Tier ist so sehr in sich selbst und in seiner Bitterkeit verloren, dass es keine Freiheit zum Leben hat; es scheint, es wird immer das erbärmliche Gift der Selbstzerstörung ertragen. Sein Herz ist das wichtigste, was es hat, und verschlingt das Tier das wichtigste Element verschlingt, das das Leben erhält, wird es nicht leben. Im übertragenen Sinne vielleicht noch vegetieren. Dieses Gedicht kann jemanden im wirklichen Leben widerspiegeln, denn je mehr Sie sich von bitteren Früchten ernähren, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass Sie die süße Glückseligkeit erlangen, die das Leben für Sie bereithält.

Ich stelle mir das Herz als Symbol für den freien Willen vor. Das Essen ist eine essentielle Handlung des Menschen, bei der er den freien Willen als gegeben hinnimmt. Das Gedicht spricht über den menschlichen Kreislauf der Selbstzerstörung.

Wenn ich dieses Gedicht wieder und wieder lese, ist es, als ob sich meine Wahrnehmung immer mehr verändert. Wenn ich über den Tellerrand hinausblicke, verstehe ich endlich die Entstehung dieses Gedichts. Seine Herangehensweise an das Leben ist verrückt und verdreht, was mich sofort ertappt hat, denn es geht nicht um die typische rührselige Liebe oder Sex.
Stephen Crane versüßt seine Botschaften nicht, er geht roh und tief in seinen Text hinein, was ihn so interessant und erfrischend macht. Durch Stephen Cranes schreckliches Gedicht greife ich als Selbstmotivation auf, mich selbst klar zu halten und mich durch Schmerz und Leid nicht unnötig einschränken zu lassen; mich dem auszuliefern.
Wir durchleben immer wieder negative Phasen im Leben, aber es liegt an uns, sich selbst vor dem bitteren Herzschmerz zu bewahren.