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Feuilleton Lesart

Besprochene Bücher und Texte

Aktuelle Bücherliste | Regelmäßig schreiben und sprechen wir über Bücher, die wir gelesen haben. Allerdings verfassen wir keine klassischen Rezension, sondern beschreiben unser jeweiliges LeseErlebnis und das was wir gegebenenfalls mit und bei der Lektüre erleben. Hier finden Sie eine Auflistung aller hier besprochenen Bücher, sortiert nach AutorIn.

A

B

C

Stephen Crane | In the desert

Drutmar Cremer | Das tierische Gebet

D

E

F

G

Alasdair Gray | Kleine Disteln

H

I

J

K

L

M

Kurt Marti | Zärtlichkeit & Schmerz

N

O

P

Q

R

Hartwig Rademacher | Akute Literatur

S

T

U

V

W

X

Y

Z

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Feuilleton Märchen

Märchenliebe

Wenn die Menschen heute die Worte „Märchen“ hören, beschwören sie Bilder von sanften Waldgeschöpfen, tugendhaften Jungfrauen und (vor allem) Happy Ends herauf. Aber bis zur viktorianischen Ära vor etwa 150 Jahren waren die meisten Märchen dunkel und gewalttätig und oft voller sexueller Anspielungen, die den durchschnittlichen Sechsjährigen über den Kopf flogen. Hier sind sechs klassische – und klassisch beunruhigende – Märchen, die von den Leuten bei Disney so schnell nicht adaptiert werden.

Sonne, Mond und Talia

Diese frühe Version von „Dornröschen“, die 1634 veröffentlicht wurde, liest sich wie eine mittelalterliche Episode von „The Jerry Springer Show“. Talia, die Tochter eines großen Lords, bekommt beim Spinnen von Flachs einen Splitter ab und wird bewusstlos. Ein nahegelegener Königlicher passiert auf ihrem Anwesen und vergewaltigt Talia im Schlaf (die italienische Formulierung ist euphemistischer: „Er hob sie in seine Arme und trug sie zu einem Bett, wo er die ersten Früchte der Liebe sammelte“). Noch immer im Koma gebiert Talia Zwillinge, erwacht dann plötzlich und nennt sie „Sonne“ und „Mond“. Die Frau des Königs entführt Sonne und Mond und befiehlt ihrem Koch, sie lebendig zu braten und ihrem Vater zu servieren. Als der Koch sich weigert, beschließt die Königin, Talia stattdessen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Der König interveniert, wirft seine Frau in die Flammen, und er, Talia und die Zwillinge leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Bleiben Sie dran für mehr nach dieser Werbepause!

Das Märchen Sonne, Mond und Thalia ist die fünfte Erzählung des fünften (und letzten) Tages im Pentamerone von Giambattista Basile. Der erste Teil wird deutschsprachigen Märchenfreunden bekannt vorkommen: es ist im Wesentlichen die bekannte Geschichte von Dornröschen. Es folgt jedoch ein längerer zweiter Teil, in dem die junge Frau sich gegen eine boshafte Konkurrentin durchsetzen muss. In dieser Form findet sich das Märchen auch in der Sammlung von Charles Perrault, wo es den Titel Die schlafende Schöne im Wald trägt

Das seltsame Fest

„Eine Blutwurst lud eine Leberwurst zum Abendessen in ihr Haus ein, und die Leberwurst nahm die Einladung gerne an. Doch als sie die Schwelle des Wohnhauses der Blutwurst überschritt, sah sie viele seltsame Dinge: einen Besen und eine Schaufel, die auf der Treppe kämpften, einen Affen mit einer Wunde am Kopf und mehr…“. Wie um alles in der Welt konnten die Leute bei Disney dieses obskure deutsche Märchen übersehen? Um eine (schon kurze) Geschichte noch kürzer zu machen: Kaum entkommt die Leberwurst mit unversehrter Hülle, jagt sie die Blutwurst mit einem Messer die Treppe hinunter. Werfen Sie einfach eine Gesangs- und Tanznummer ein, und Sie haben 90 Minuten geistlose Unterhaltung!

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Schnitt | Minutenromane

Corinna Waffender | Sechzehn Prosastücke, darunter die vom Autorinnenforum Rheinsberg ausgezeichnete Kurzprosa „Ohne Ende leben“, schneidet Corinna Waffender auf virtuose Weise zu einem beeindruckenden Ganzen zusammen. Es sind Momentaufnahmen, Szenen, Einstellungen, die die Protagonistinnen und Protagonisten auf eine eigene, besondere Weise beleuchten und ihre Gefühle und Charaktere umso deutlicher hervortreten lassen. 

So schildert „Hinter Glas“ die Beziehung zweier Frauen und die jähe Tragik, die der Satz „Fass mich nicht an!“ bekommen kann. In „Stille Post“ läuft ein eigenartiger Film zwischen Tina und Jo ab. „Bis dass“ erzählt von Manni und dessen ungewöhnlichem Hobby, Todesanzeigen zu archivieren. Und „Ohne Ende leben“ ist eine melancholisch-poetische Schilderung einer Zukunft, in der Unsterblichkeit zum Fluch geworden ist. Wie schon im Romandebüt Zwischen den Zeilen beweist Corinna Waffender auch in Schnitt ihr poetisches Können, die Fähigkeit, die Welt in ihrer ganzen literarischen und sprachlichen Intensität hervortreten zu lassen. Sechzehn Prosastücke, darunter die vom Autorinnenforum Rheinsberg ausgezeichnete Kurzprosa „Ohne Ende leben“, schneidet Corinna Waffender auf virtuose Weise zu einem beeindruckenden Ganzen zusammen. Es sind Momentaufnahmen, Szenen, Einstellungen, die die Protagonistinnen und Protagonisten auf eine eigene, besondere Weise beleuchten und ihre Gefühle und Charaktere umso deutlicher hervortreten lassen. So schildert „Hinter Glas“ die Beziehung zweier Frauen und die jähe Tragik, die der Satz „Fass mich nicht an!“ bekommen kann. In „Stille Post“ läuft ein eigenartiger Film zwischen Tina und Jo ab. „Bis dass“ erzählt von Manni und dessen ungewöhnlichem Hobby, Todesanzeigen zu archivieren. Und „Ohne Ende leben“ ist eine melancholisch-poetische Schilderung einer Zukunft, in der Unsterblichkeit zum Fluch geworden ist. Wie schon im Romandebüt Zwischen den Zeilen beweist Corinna Waffender auch in Schnitt ihr poetisches Können, die Fähigkeit, die Welt in ihrer ganzen literarischen und sprachlichen Intensität hervortreten zu lassen.

Querverlag

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Maxie Wander (eigentlich Elfriede Brunner), 1933 in Wien geboren, lebte seit 1958 mit ihrem Mann, dem österreichischen Schriftsteller Fred Wander, in der DDR. Sie war Sekretärin, Fotografin und Journalistin, schrieb Drehbücher und Kurzgeschichten. Außerdem war sie als Koautorin an mehreren Reiseberichten ihres Mannes beteiligt.
Bekannt geworden ist durch sie übrigens das Genre der Protokoll-Literatur bzw. dokumentarische Literatur. Also literarische Texte, die aus nichtliterarischem, recherchiertem oder authentischem Material zusammengestellt oder komponiert wurden. Ihr bekanntestes Buch ist Guten Morgen, du Schöne. Protokolle nach Tonband. Darin lässt die Autorin Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlichen Alters über ihre Alltagserfahrungen, Befindlichkeit und Wünsche sprechen.

1972, fünf Jahre vor ihrem Tod, hat sie ihre Situation so skizziert:

»Eine neununddreißigjährige Wienerin, die ihre große Liebe gefunden und geheiratet hat, einen schwer vorbelasteten, sechzehn Jahre älteren, gut aussehenden, liebesfähigen, schwermütigen, feinfühligen jüdischen Mann. Sie hat zwei Kinder geboren, eines wieder verloren, hat niemals einen Berut erlernt, einige aber aus- geübt, sie hat ein Kind aus einem Heim zu sich genommen, hat ihre Heimat verlassen und sie erst danach, viel später, als Heimat begriffen. Sie hat mit einem Schlag das Altern begriffen, das andere Leute vielleicht als Prozess erleben, der nichts Erschreckendes hat. Sie musste begreifen lernen, wie wenig sie sich vorbereiten konnte, allein vertrauend aut ihren hübschen, noch immer jugendlichen Körper. Was nun?«

Fred Wander, dieser beschriebene Mann, hat aus über tausend Briefen und Tagebuchblättern eine Auswahl zusammengestellt, die sowohl Lebensgeschichte seiner Frau greifbar macht, als auch die Geschichte einer Krebskranken. Mit großer Offenheit hat Maxie Wander in Briefen an Freunde und persönlichen Aufzeichnungen über die einzelnen Stationen ihrer Krankheit berichtet, über ihr Erschrecken, ihre Hoffnungen, das Verschleiern und Verschleppen, über die ganze Ohnmacht und das Versagen der Medizin, aber auch ihrer Umgebung dieser Krankheit gegenüber. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung schreibt sie: »Leben wär‘ eine prima Alternative.«

Ich habe zwei Ausgaben der Aufzeichnungen und Briefe: Eine – leicht gekürzte – Ausgabe von Luchterhand unter dem Titel Leben wär‘ eine prima Alternative und die Originalausgabe vom buchverlag der morgen aus Berlin.

Bisher war mir Maxie Wander kein Begriff;. Die Originalausgabe wurde mir geschenkt; die zweite fand ich einem öffentlichen Bücherschrank in der Nähe des Kunstvereins Tosterglope.